Die heute 76jährige Ute hatte sich von ihrem Kehlkopfkrebs vor 8 Jahren erholt. Und doch trotz erfolgreichem Heilungsverlauf trug sie einer ihrer Töchter auf, ich möchte nie ins Pflegeheim, niemals soll man mich künstlich am Leben halten, wenn ich einmal nicht mehr Herr meiner Sinne bin. Doch als die Mutter vor 3 Jahren einen schweren Hirninfarkt erlitt, wurde eine Berufsbetreuerin eingesetzt, da Einigkeit zwischen den Töchtern bezüglich des Aufenthaltsortes der Mutter nicht herzustellen war. Wiederkehrende weitere Infarkte in den kommenden Monaten führten zu weiterer Pflegebedürftigkeit, schließlich zu einer Demenz. Sie war vollständig bettlägerig, konnte weder Stuhlgang noch Urin kontrollieren und wurde aufgrund zunehmender Essenschwäche bereits seit 1 Jahr per Magensonde ernährt. Doch mit jeder Verschlechterung ihres Zustandes wurde – auf Veranlassung der Berufsbetreuerin – jeweils der Notarzt gerufen. Stets folgte die stationäre Aufnahme, oft die Intensivtherapie, teilweise die Beatmung. Nach Stabilisierung auf schlechtem Niveau ging es zurück ins Heim. Diesen „Drehtüreffekt“ gab es immer wieder, dies habe „die Berufsbetreuerin so angeordnet, sie sei Anwältin“. Sie erklärte: „Es läge weder eine Patientenverfügung vor, noch kann man bei Schlaganfällen von „unheilbaren Krankheiten“ reden, deshalb sei anzuordnen, was medizinisch möglich sei. Das Pflegepersonal der Station und auch der Hausarzt empfanden die Situation als unwürdig, und er bat uns um Mitbetreuung und Vermittlung. In einer neuerlichen Krise kam ich zu der Patientin. Der Zustand war von schlimmster Atemnot, Rasselatmung und schnellster Atemfolge gekennzeichnet. Die Pflegeheimschwester erbat das sofortige Absaugen, ob man den Zustand nicht im Heim auch aufrechterhalten könne, sie würde jeweils anrufen, wenn Absaugen nötig wäre. Wir interpretierten den Zustand als Sterbephase, legten die alte Dame in Seitenlage und gaben Morphin gegen die Atemnot. Der Willen der Patientin und damit das Therapieziel wurden in einem Telefonat mit der Tochter geklärt. Anschließend telefonierte ich mit der Berufsbetreuerin. Nur mit großen Mühen akzeptierte sie, dass nun auf Intensivmedizin verzichtet werde und Leidenslinderung im Vordergrund stehe. Ute starb 2 Tage später ohne Leiden, sie vergaß irgendwann mitten in der Nacht einfach das Atmen, ihre Tochter saß am Bett.
Übertherapie bei Sterbenden – ein Riesenproblem
Offenkundig folgten die Vielzahl der intensivmedizinischen Behandlungen wie auch die künstliche Ernährung mittels PEG Sonde weder einem klaren Therapieziel, noch waren sie durch den Willen der Patientin gedeckt. Entgegen den Ausführungen der Berufsbetreuerin handelt es sich bei einer Demenz um eine unheilbar, tödlich verlaufende Krankheit.
Gerade bei der künstlichen Ernährung mittels PEG gibt es eine aktuelle Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie: Sie ist bei Demenz nicht nötig[i]. Warum das alles also, was doch sowohl den Pflegeheimschwestern, wie auch dem Hausarzt Bauchschmerzen machte?
Nun wird in München erstmals ein Arzt verklagt, der die künstliche PEG Sondenernährung bei einem stark leidenden Demenzbetroffenen über Jahre fortsetzte. Die erste Instanz befand bereits, dies sei behandlungsfehlerhaft.
Zwangsernährung am Lebensende. SWR2 Wissen von Horst Gross 23.02.17
Frontal 21 vom 12.10.2017: Zunehmende Demenzdiagnosen führen zu Übertherapie