Patient ohne Verfügung – Das Geschäft mit dem Lebensende.
Film zum Buch: „Wer kriegt die Oma“ aus ZDF Mann, Sieber! Sehenswert!
In deutschen Kliniken wird operiert, katheterisiert, bestrahlt und beatmet, was die Gebührenordnung hergibt – bei 1.600 Euro Tagespauschale für stationäre Beatmung ein durchaus rentables Geschäft. Anschließend geht es nicht selten mit Apparatemedizin nach Hause. In diese Intensivversorgung daheim – von den meisten Menschen ungewollt – wird mittlerweile fast jeder 2. Euro für häusliche Pflegeleistungen investiert. Dr. Matthias Thöns berichtet aus seiner jahre-langen Erfahrung von zahlreichen Fällen, in denen alte, schwer Kranke mit den Mitteln der Apparatemedizin behandelt werden, obwohl kein Therapieerfolg mehr zu erwarten ist. Nicht Linderung von Leid und Schmerz, sondern finanzieller Profit steht im Fokus des Interesses vieler Ärzte und Kliniken, die honoriert werden, wenn sie möglichst viele und aufwändige Eingriffe durchführen. Thöns‘ Apell lautet deshalb: Wir müssen in den Ausbau der Palliativmedizin investieren, anstatt das Leiden aller Menschen durch Übertherapie qualvoll zu verlängern.
320 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-492-05776-9, Piper-Verlag, € 22,00 Link zum Piper-Verlag
Bestätigung kommt nun von Bremer Wissenschaftlern, sie befragen Chefärzte und Verwaltungsdirektoren: Der Chefgynäkologe zieht Kaiserschnitte vor, weil auf der Frühchenstation Betten frei sind. Der Herzchefarzt verlangt, Patienten auch bei geringsten Anlässen zur Herzkatheter-Untersuchung anzumelden. (Link, Beitrag NDR)
Zur Übertherapie gibt es in den letzten Jahren verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit:
Deutsches Ärzteblatt 24/17: „Die Verwandlung der Krankenhäuser in kostenorientierte, betriebswirtschaftliche Unternehmen ist eine Fehlentwicklung historischen Ausmaßes…. Nicht mehr der kranke Mensch steht heute im Mittelpunkt ärztlichen und pflegerischen Handelns, sondern die Anzahl und der Fallwert seiner Diagnosen und ärztlichen Eingriffe.“ (von Prof. Lichey, Jürgen; Prof. Schilling, Wolfgang; Dr. Jonitz, Günther)
Prof. Gerlach Vorsitzender Sachverständigenrat Bundestag dazu:
„organisierte Verantwortungslosigkeit im Gesundheitswesen“„ falsche Anreizmodelle für Ärzte, zu viele Krankenhäuser und viel zu viele unnötige Leistungen“
Deutscher Ethikrat 2016: „besorgniserregende Entwicklungen in der Krankenhausmedizin, „Mengenausweitungen“, „Konzentration auf besonders gewinnbringende Behandlungsverfahren“
Bundesärztekammer 2015: „medizinfremde Beurteilungskriterien fließen in die Indikationsstellung ein“
Bertelsmannstiftung 2015: „Überversorgung kurativ – Unterversorgung palliativ?“
DGIM 2016: Ökonomisierung…„führt dazu, dass fachmedizinische Leistungen, unabhängig von der gesundheitlichen Situation der Patienten, unangemessen ausgeweitet werden.“
Prof. Chen 2016: Übertherapie am Lebensende: Entgegen den Empfehlungen der ASCO von 2012 erhalten 71-76% der Patienten Übertherapie in den letzten 30 Lebenstagen (Chemotherapie, Bestrahlung, Klinikeinweisung, Intensivtherapie).
Akademie für Menschenmedizin: Ärzte schlagen Alarm. Ist das wirklich alles nötig? NZZ 30.10.16
Fakten zur Übertherapie im DAK Pflegereport 2016
Im DAK Pflegereport wird anhand der Auswertung von 61056 Sterbefällen belegt, dass ca. 70% der Pflegebedürftigen im letzten Lebensquartal stationär im Krankenhaus behandelt werden. Dies verursacht mit 83% der Gesamtausgaben auch die höchsten Kosten: im Schnitt kosten diese Krankenhausfälle 8987 €. Die Palliativversorgungskosten (SAPV) von 1966 € liegen dagegen nur bei 2,9% der Gesamtausgaben, selbst Fahrtkosten haben mit 4,1% einen höheren Anteil. Krebsbetroffene erleiden die meisten Krankenhausfälle in den letzten 3 Lebensmonaten, über 80% von ihnen werden stationär behandelt. Dabei erfolgt jede 2. Einweisung mit dem Rettungsdienst. Das Ganze ist in hohem Maße von den Menschen unerwünscht, in einer Befragung gaben nur 4% an, ihr bevorzugter Aufenthaltsort für die letzte Lebensphase wäre die Klinik.(sogar das Buch Patient ohne Verfügung wird zitiert!!!)
Der wichtigste Faktor gegen Übertherapie ist die Gier der Medizinindustrie zu reduzieren durch strukturierte Gebührenordnungen mit Blick auf das Patientenwohl.
Vielfach ist eine zu aggressive Krebsbehandlung am Lebensende dokumentiert, bei jungen Patienten in den letzten 30 Lebenstagen zu ca. 75%. Aber auch andere Verfahren werden von den internationalen Wissenschaftlern deutlich kritisiert, wie die therapieziellose PEG Anlage, Chemotherapie, die das Leben verkürzt, Bestrahlungsbehandlung kurz vor dem Lebensende, nutzlose Medikation, ineffektive Intensivtherapie am Lebensende, oder die ziellose intravenöse Ernährung. Dagegen erfolgte Palliativversorgung nur in 6% am Lebensende.
Übertherapie ist ein wachsendes Problem der wettbewerbsorientierten Medizin. Die Krankenversorgung in früheren Zeiten war Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Krankenhäuser bekamen am Jahresende Ihre Ausgaben etwa im Rahmen ihrer Kosten erstattet, Investitionen erfolgten aus öffentlicher Hand, Krankenhausschließungen gab es praktisch nicht. Heute entwickelt sich die Medizin in Deutschland mehr und mehr in einen lukrativen Wirtschaftszweig. Krankenhäuser müssen sich im Wettbewerb behaupten. Machen sie keine Gewinne, müssen sie über kurz oder lang schließen. So stellte man vor etwa 10 Jahren die Krankenhausfinanzierung dramatisch um. Erfolgte früher die Bezahlung nach der Anzahl der Behandlungstage, werden heute medizinische Prozeduren bezahlt, die bestimmten Diagnosen zugeordnet sind. Die Folgen sind dramatisch. Operationen, Spritzenbehandlungen, Herzkatheter, Chemotherapie und die Diagnoseanzahl weiten sich drastisch aus. So explodieren insbesondere die Krankenhauskosten. In keinem Land der Welt gibt es so viele Krankenhausbetten pro Einwohner. Im Besonderen nimmt die Apparatemedizin zu, vor der sich – nicht ganz unberechtigt – viele Menschen im Alter fürchten.
Übertherapie hat für den Patienten keinen Nutzen. So verglich eine große Krankenkassenstudie die Daten von fast 200.000 Darmkrebspatienten. Es gab Regionen, in denen die Behandlung 60% intensiver war als in anderen Regionen. Dort bestellten die Ärzte die Patienten häufiger ein, es ging häufiger zum Spezialisten, es wurden mehr Untersuchungen veranlasst, es erfolgten häufiger kleinere Eingriffe und die Patienten erhielten häufiger Krankenhausbehandlung – vor allem Intensivtherapie. Nun müsste man doch meinen – na denen wird es dann ja auch wohl besser gehen. Weit gefehlt: Das Mehr an Behandlung führte weder zu mehr Zufriedenheit, noch zu einem besseren Gesundheitszustand. In der Gruppe der intensiv-behandelten lag sogar die Sterblichkeit höher. Das gleiche ließ sich auch für andere Krankheitsgruppen zeigen.
Prof. Wasem beschreibt den Begriff Übertherapie in Anlehnung an die Definition des Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) als „eine Versorgung, die über die Deckung des medizinischen Bedarfs hinausgeht.“
Das ist eine sehr geschönte Formulierung für Behandlungen, die eher dem wirtschaftlichen Wohl des Behandlers, als dem Patienten dient. Man kann auch definieren, dass es sich um systematische Straftaten handelt. Denn jeder ärztliche Eingriff ist eine Körperverletzung. Diese ist nur dann legitim, wenn sie nach Aufklärung und Einwilligung geschieht und wenn sie ärztlich indiziert ist. Sprich der Nutzen der Maßnahme überwiegt den Schaden.
Ein Beispiel: Chemotherapie am Lebensende
Diese wurden nun von amerikanischen Krebsärzten untersucht. Hilft die Chemotherapie in den letzten 6 Lebensmonaten? Das erschreckende Ergebnis war: Nicht das Leben wird verlängert, sondern das Leiden der Patienten wird vergrößert: „Chemotherapie nutzte den Patienten nichts, egal wie sehr sie ihre Krebserkrankung schon beeinträchtigt hatte“, sagt Holly Prigerson, die Leiterin der Studie. „Bei Patienten, denen es noch vergleichsweise gut ging, verschlechterte sich ihr Befinden nach Behandlungsbeginn.“
Professor Ludwig, Leiter der deutschen Arzneimittelkommission, erklärt: „Wenn die Krankheit nicht gut auf das erste und auf das zweite Behandlungsprotokoll angesprochen hat, ist es überflüssig und schädlich, erneut die Chemotherapie zu wechseln“.
Hier eine Auswahl an Beispielen, wo das Phänomen Übertherapie beobachtet wird.
- Chemotherapie am Lebensende
- Operationen am Lebensende
- Strahlentherapie am Lebensende
- Künstliche Ernährung am Lebensende
- Sterbeverhinderung bei dauerhaftem Wachkoma
- Langzeitbeatmung
- Cholesterinsenkung ohne Not
- Blutdrucksenkung / Normwertmanipulation
- PSA-Screening (Diagnostik des Prostatakarzinoms)
- Prostatakrebsoperationen
- Hysterektomien
- Blinddarmoperationen (Österreich)
- Mandeloperationen
- Wirbelsäulenoperationen
- Hüft- und Kniegelenksersatz
- Herzkatheter
- neue Chemotherapeutika
- invasive Schmerztherapie, GOÄ/EBM
- Blaulichtmedizin
- Zappelphillipsyndrom/ ADHS
- Mammakarzinomscreening
Übertherapie erlebt? email(at)UEBERTHERAPIE.de
Was kann man tun:
- Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht erstellen
- Vor umfangreichen Behandlungen Zweitmeinung einholen. Die verhindert ca. 90% der Operationen, auch bei Krebs änderte sich vielmals der Behandlungsplan.
In 80% rieten die Experten bei der Zweitmeinung von einer Operation ab! Aber weniger als 10% der Versicherten nutzten das kostenfreie Angebot. Lieber unnötig operieren lassen, als eine kostenfreie Beratung anzunehmen – wie blöd ist das denn???
Die auch im Spiegel stark kritisierte Asklepios-Klinik-Gruppe hat ein eigenes Zweitmeinungsprogramm ins Leben gerufen. Hier berät ein Arzt aus einer anderen Asklepios Klinik die Patienten. Und wär hätte es anders erwartet: Der medizinische Direktor der Asklepios Kliniken erklärt: „Absolute Widersprüche bei Behandlungsempfehlungen sehen wir so gut wie nie“. So etwas ist natürlich keine wirtschaftlich unabhängige Beratung.[i]
[i] https://www.aerzteblatt.de/archiv/191877/Zweitmeinung-Uneinheitliches-Angebot