Arzneimittelpreise

Kosten für onkologische Arzneimittel steigen massiv. Dt. Ärzteblatt 22.06.2017

80% der Onkologen, die auf Twitter Medikamente gegen Krebs loben, erhalten von der Pharmaindustrie Geld, im Schnitt 13.000 €. 98,3% informierten darüber nicht.

Ärztefortbildungen sind leider oft beeinflusst von der Pharmaindustrie. MEZIS sorgt hier für Transparenz – nennt Roß und Reiter (link)

Preistreiberei: heute 400.00 Euro pro Patient für Pillen, die vor 7 Jahren unter 60€ kosteten

Ein günstiges Medikament gegen Gallensteine (Chenodeoxycholsäure, Ursofalk) wurde wegen eines besseren Medikamentes 2008 vom Markt genommen. Es wurde 2010 unter der Bezeichnung Xenbilox 15 Mal teurer auf den Markt gebracht, da es für wenige Patienten mit einer seltenen Erkrankung hilfreich ist (Xanthomatose). Nachdem dieses Medikament aus ohne Not dem Handel genommen wurde, wird der identische Wirkstoff nun von der Firma Leadiant als Chenodesoxycholsäure vertrieben zum Preis von 27513 €. Anfangs kostete das Präparat 58,69€ und hat auch Gewinne erbracht. So kostet die Behandlung eines Patienten aktuell 400.000 €. So werden die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit der Solidargemeinschaft ausgelotet, berichtet aktuell das Arzneitelegramm (a-t 2017; 48: 57-8: PREISTREIBEREI BEI ORPHAN DRUGS – … in sieben Jahren um das 450-Fache verteuert)

Arzneimittelpreise – 

Wie Patente und eine falsche Arzneimittelpolitik bezahlbare Medikamente und eine bedarfsgerechte Arzneimittelforschung behindern
von Dr. med. Dieter Lehmkuhl

Herausgeber: MEZIS e.V. Mein Essen zahl‘ ich selbst!
Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte
www.mezis.de, info@mezis.de

Hier einige Auszüge aus der sehr lesenswerten Broschüre

Die zum Teil exorbitante Preisgestaltung bei vielen neuen Medikamenten – oft zwischen 50.000 und 100.000 Euro und mehr pro (Jahres-)Behandlung – führt zu einer beträchtlichen Steigerung der Arzneimittelausgaben, bedroht die solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme und schränkt den Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln selbst in reichen Ländern ein. So stiegen die Ausgaben für patentgeschützte Medikamente seit 1996 um über 700 %:

Das gegenwärtige System orientiert sich primär am Profit statt an gesundheitlichen Erfordernissen.

Die hohen Preise für neue Arzneimittel stehen oft in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen. Viele der neuen Medikamente haben nur einen geringen oder fraglich belegten Zusatznutzen. Unverhältnismäßig hohe und steigende Arzneimittelpreise gehen aber zu Lasten anderer wichtiger Leistungen im Gesundheitswesen und machen sich als Knappheit in vielen Bereichen bemerkbar wie Personalkürzungen im Krankenhaus, Unterbezahlung der Pflege, geringe Vergütung der sprechenden Medizin und kurze Kontaktzeiten in Arztpraxen.

Die Preise orientieren sich stattdessen daran, was der Markt und die Monopolstellung hergeben, die ihnen die Patentierung ermöglicht, d.h. am maximal erreichbaren Gewinn und an der Bereitschaft der Gesellschaft, diesen Preis auch zu zahlen.

Ein Marketing in Milliardenhöhe führt in vielen Bereichen zu einer Übertherapie und Überdiagnostik.

Die zum Teil exorbitante Preisgestaltung in den letzten Jahren gerade bei vielen neuen Medikamenten gegen Krebs, seltenen Krankheiten und Hepatitis C führt zu einer beträchtlichen Steigerung der gesamten Arzneimittelausgaben. Solche Therapien kosten pro Jahr oft zwischen 50.000 und 100.000 Euro und mehr. Dies gilt insbesondere für viele der neuen Krebsmittel, deren Nutzen, was die zusätzliche Lebensverlängerung angeht, meist sehr begrenzt ist.

Die unverhältnismäßig hohen Preise für viele neue Medikamente bedeuten, dass wir den Gesundheitsbedürfnissen ganzer Bevölkerungen nicht mehr gerecht werden können. „Aus Patientenperspektive ist eine Behandlung, die nicht bezahlbar ist, nicht wirksamer ist als eine nicht vorhandene.“

Das Hauptinteresse der Pharmaindustrie hingegen ist es, Arzneimittel zu entwickeln und zu vermarkten, die bei möglichst geringen Investitionen viel Gewinn versprechen. Dabei ist ein großer Teil dieser Forschung ineffizient, weil sie oft nicht dort erfolgt, wo der medizinische Bedarf, sondern da, wo die Gewinnerwartung am größten ist.

Das führt zu den besten Gewinnspannen in der Wirtschaft:

Eine Fakten zu Forschung und Entwicklung:

  • Die Zahl neu zugelassener Medikamente bleibt im langjährigen Mittel bei 15 bis 25 pro Jahr.
  • 85 bis 90 Prozent der in den letzten 50 Jahren neu eingeführten Medikamente habe nur wenig Nutzen, aber beträchtlichen Schaden gebracht.
  • Die pharmazeutische Industrie verwendet den größten Teil der Forschung für die Entwicklung zahlreicher kleiner Varianten von bekannten Substanzen, die zu regelmäßigen Gewinnen führen.
  • Massive Werbung dieser Arzneimittel trägt zu Überversorgung bei und ist verantwortlich für 80 Prozent der Zunahme nationaler Arzneimittelausgaben.
  • Weit überzogene Schätzungen der durchschnittlichen Kosten für F&E wird für Lobbying genutzt, um die Pharmafirmen vor mehr Wettbewerb zu schützen.

Das brauchen Ärztinnen und Ärzte:

Industrieunabhängige Fortbildung und Leitlinien, Offenlegung von Interessenkonflikten und deren Vermeidung, wo immer möglich, angemessene Distanz zur Pharma- und Geräteindustrie, Orientierung der Behandlung primär am PatientInnenwohl und an evidenzbasierter rationaler Arzneimitteltherapie statt an Industriemarketing und direkter, indirekter oder verdeckter Werbung, Beteiligung von WissenschaftlerInnen nur an solchen Forschungsvorhaben, die einen relevanten klinischen Nutzen versprechen. ÄrztInnen sollten sich zudem nicht an Studien beteiligen, die primär Marketingzwecken dienen.

Daher fordert Mezis:

  • einen frühen Marktzugang für und die breite Anwendung von Generika,
  • eine stärkere Kontrolle und Sanktionierung wettbewerbswidriger Praktiken von Unternehmen,
  • strengere Kriterien für die Patentierung von Arzneimitteln,
  • die Preise und Erstattungsfähigkeit von Medikamenten stärker an der Nutzenbewertung und den realen Kosten für F&E auszurichten,
  • eine öffentliche Generikaproduktion für alte, nicht unter Patentschutz stehende Arzneimittel, bei der es nur einen Hersteller gibt, der seine Monopolstellung missbraucht,
  • die bedarfsweise Anwendung von Zwangslizenzen im Interesse öffentlicher Gesundheit,
  • den Schutz des Handlungsspielraumes nationaler Regierungen zugunsten der Erfordernisse öffentlicher Gesundheit in multilateralen und bilateralen (TRIPS plus) Handels- und Investorenschutzabkommen.

Für den Anstieg der Arzneimittelkosten der letzten Jahre sind vor allem hochpreisige Arzneimittel verantwortlich, die weniger als 1 Prozent der Verordnungen ausmachen, deren Anteil an den gesamten Arzneimittelkosten aber zwischen 25 und 30 Prozent liegt.

Patienten zahlen in Deutschland für Arzneimittel derzeit fünffach:

  1. über die staatliche Förderung der (Grundlagen-)Forschung,
  2. über Steuervergünstigungen für die Industrie,
  3. über hohe Preise für Arzneimittel mit keinem, geringen, nicht nachgewiesenen oder fraglichen (Zusatz-)Nutzen,
  4. für menschliche und ökonomische Folgen fehlender, aber dringend benötigter Arzneimittel für Krankheiten, die sich in einer Marktmedizin nicht genügend „rechnen“ und
  5. für die ökonomischen und unter Umständen negativen medizinischen Folgen einer Über- bzw. Fehlmedikation aufgrund irreführender Arzneimittelwerbung und einer weitgehend industriegesponserten ärztlichen Fortbildung.

Ein Beispiel:

Aus diesem Grund fordern wir:

  • ein öffentliches Register über die verhandelten und die tatsächlichen Medikamentenpreise,
  • die Stärkung der Verhandlungsmacht auch durch länderübergreifende Plattformen zu gemeinsamen Preisverhandlungen/Einkäufen unter Einbeziehung von Anbietern weltweit und Informationsaustausch wie dies z.B. die Benelux-Initiative mehrerer EU-Länder anstrebt36 und der zuständige Ausschuss des EU-Parlamentes fordert,
  • eine Neuverhandlung bei hochpreisigen alten Arzneimitteln orientiert am PatientInnen-Nutzen,
  • volle Transparenz der Kosten für Forschung sowie der Ergebnisse klinischer Studien.

Die tatsächlichen Kosten für Forschung spielen jedoch kaum eine Rolle bei der Preisgestaltung. Die Preise orientieren sich daran, was der Markt hergibt, d.h. am maximal erreichbaren Gewinn und an der Bereitschaft der Gesundheitssysteme und der Gesellschaft, den Preis auch zu zahlen.

Außerdem lassen die acht erfolgreichsten Unternehmen forschen statt selbst zu forschen. Sie machen 70 % ihres Umsatzes mit Produkten anderer Firmen.

77 % der Gewinne (Umsatzrendite) der größten 20 Pharmaunternehmen gehen in die Auszahlung von Dividenden und den Rückkauf von Aktien (um den Aktienwert zu steigern), 16 % in Übernahmen und Fusionen, 10 % in Anlagegüter, Sachanlagen (fixed assets).

Es gibt daher keinen Grund zu glauben, höhere Gewinne führten zu mehr Ausgaben für Forschung..

Etwa 50 % der klinischen Studien werden nicht veröffentlicht, insbesondere dann nicht, wenn sie negative Ergebnisse zeigen oder den Erwartungen des Sponsors nicht entsprechen. Das führt dazu, dass die positive Wirkung von Arzneimitteln oft überschätzt und die Nebenwirkungen unterschätzt werden. Dazu kommt, dass Ergebnisse vor allem Industrie-gesponserter Studien oft verzerrt sind bzw. verzerrt dargestellt werden. ÄrztInnen können daher bei bestem Willen nicht wirklich wissen, wie die Medikamente, die sie verschreiben, tatsächlich wirken, wenn nicht alle klinischen Studien veröffentlicht werden und einer unabhängigen Bewertung – ein grundlegendes Prinzip der Wissenschaft – zugänglich sind.

Und so sieht der Nutzen neuer Präparate nach objektiver Prüfung aus:

So hat z.B. die jahrelange Geheimhaltung von klinischen Studien des Herstellers des Grippemittels Oseltamivir (Tamiflu®), die angeblich einen relevanten klinischen Nutzen zur Vorbeugung und Behandlung der Schweingrippe- Epidemie belegen sollten, dazu geführt, dass die internationale Staatengemeinschaft etwa 8 Milliarden US-Dollar für ein Medikament ausgegeben hat, das sich später unter Einbeziehung der zurückgehaltenen Studien im Wesentlichen als unwirksam erweisen hat. Die Veröffentlichung erfolgte Jahre später und überhaupt erst auf erheblichen Druck aus der Wissenschaft.

Ähnliches gilt für die Antidepressiva, die sich unter Einbeziehung der nicht veröffentlichten Studien für die meisten Depressionen kaum wirksamer als Placebo erwiesen haben,49 um nur zwei Beispiele zu nennen.

 

Aus diesem Grund fordert Mezis:

  • die private und öffentliche Finanzierung für die Arzneimittel-F&E vollständig offenzulegen und zurückzuverfolgen, damit die realen Kosten der F&E einschließlich öffentlicher Zuwendungen, Steuervergünstigungen und des Anteils staatlich finanzierter Grundlagenforschung erkennbar sind und die SteuerzahlerInnen nicht zweimal zahlen,
  • den offenen Zugang zu Forschungsdaten, einschließlich der Daten aus frühen Forschungsstadien und aller klinischer Studien sowohl für neue als auch für Bestandsmedikamente.

Neu ist nicht gleichbedeutend mit therapeutischem Fortschritt. Viele neue Medikamente sind nicht innovativ, d.h. sie haben keine oder nur marginale Verbesserungen. Um kommerziellen Erfolg zu haben, müssen sie mit einem enormen Werbeaufwand auf den Arzneimittelmarkt gedrückt werden. Unabhängige Bewertungen zeigen, dass nur 0,2 % der neu zugelassenen Arzneimittel einen echten Fortschritt oder Vorteile (6 %) bieten und weitere 21 % „möglicherweise einen Nutzen“

Die nach AMNOG bisher durchgeführten 248 Nutzenbewertungen ergeben in Deutschland für 2 (1 %) einen erheblichen, für 60 (13 %) einen beträchtlichem und für 63 (14 %) einen geringen Nutzen:

Hingegen besteht bei den sog. Orphan Drugs und neuen Krebsmitteln eine immer größer werdende Kluft zwischen Preis und therapeutischem Nutzen.Auf diese beiden Gruppen entfallen fast zwei Drittel der im Jahre 2015 in Deutschland neu zugelassenen Medikamente.

Ein Beispiel von vielen:

Sofosbuvir (Sovaldi®) ist ein hochwirksames Medikament zur Behandlung der Leberentzündung (Hepatitis C). Es gilt als Behandlungsdurchbruch und wurde 2013 zugelassen.
Bis Ende 2014 hatte Gilead in etwa die Investitionskosten für die Medikamentenentwicklung verdient, bis zum I Quartal 2016 wurden mittlerweile 35 Mrd $ verdient.
Aktuell werden pro Behandlungsphase etwa 44.000 € für das Medikament bezahlt, würden alle deutschen Patienten entsprechend behandelt, würde ein Drittel der Gesamtausgaben allein für die Behandlung dieser einen Erkrankung ausgegeben.
Ägypten weigerte sich, den Patentschutz anzuerkennen, da es sich nur um eine minimale Abänderung bekannter Stoffe handelt, dort hat man sich mit der Firma auf einen Preis von 900 $ geeinigt. Das Präparat könnte einer Studie zufolge auch für 75 € angeboten werden (es wird also 58000% zu teuer verkauft.).Weltweit sterben weiter Menschen an Hepatitis C, die man mit dem einfach herstellbaren Medikament retten könnte, weil die meisten Länder sich diese Preise nicht leisten können.

Zuckerkrankheit und Übertherapie: Zu viele „Zuckerpillen“ bei Greisen

Aktuell wird empfohlen, den Zucker bei betagten Patienten, insbesondere solchen mit vielen Begleiterkrankungen nicht ganz so streng einzustellen. So sollen gesunde Ältere nur noch auf einen Zielwert des entscheidenden HbA1C Wertes von 7-7,5%, vielfach erkrankte ältere Patienten nurmehr auf 8-9% eingestellt werden. Dagegen erhalten ungefähr 2/3 der älteren  Patienten so viele Diabetes-Medikamente, dass dieser Wert unter 7 gehalten wird. Dies geht mit einem höheren Risiko schwerwiegender Komplikationen (Unterzuckerung etc.) einher, es bedarf wieder mehr Klinik und mehr Medizin. (aus deutschem Ärzteblatt 2017: Wenn man des Guten zuviel tut.)